Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

 

"Da ist mir ein Stein von der Seele gefallen!" 

Predigt mit Symbolhandlung zu Beginn der Passionszeit 2006

 

Liebe Gemeinde,

Sie kennen alle den Satz: "Da ist mir ein Stein von der Seele gefallen". 

Vor einiger Zeit hatte ich plötzlich den Gedanken im Kopf: mit diesem Satz lässt sich die ganze Passionszeit beschreiben und in einer Aussage zusammen fassen.

Da ist mir ein Stein von der Seele gefallen.

- Das sagt jemand, der aus vom Arzt nach Hause kommt und eine befürchtete Diagnose hat sich nicht bestätigt.

- Das sagen Menschen, die ein ungutes Gefühl nach einer Prüfung oder einer Klassenarbeit hatten und dann ein für sie gutes Ergebnis erzielt haben.

- Das sagt der Unternehmer (oder die Unternehmerin), der zittern musste um den Kredit von der Bank, aber jetzt doch weiter machen kann und auch seine Mitarbeitenden nicht entlassen muss;

- Das sagen Eltern, die jahrelang Sorge um ihr Kind hatten, ob es nach Ausbildung oder Studium einen Arbeitsplatz bekommt - und dann endlich hat es geklappt.

- Das sagen - bei aller Trauer - Angehörige eines Verstorbenen, die nicht mehr mit ansehen müssen, wie sich ein geliebter Mensch an seiner Krebserkrankung zu Tode quälen muss. 

- Das sagt die ältere Dame mir beim Geburtstagsbesuch, als eine langjährige Freundin zum Geburtstag erstmals seit Jahrzehnten nicht anrief und sich dann doch ein paar Tage später noch meldete.

- Das sagt eine Frau, die sich nach wochenlangem Zögern und Zagen endlich entschlossen hat, sich von ihrem tyrannischem Mann zu trennen und ausgezogen ist.

- Das sagt die Familie, die nach langem Suchen endlich einen Kindergartenplatz für ihr Kind gefunden hat, der auf ihre Arbeitsplätze hin wie zugeschnitten ist.

Die Liste ließe sich leicht verlängern.

Ängste, Sorgen, Ausweglosigkeit, Verzweiflung, Schuld und Versagensgefühle, Sackgassen - all das sind Dinge, die Menschen wie ein Stein auf der Seele liegen können.

Wie Menschen neigen dazu, solche Erlebnisse in Bildern, in Sprichworten zu beschreiben und umschreiben. Das liegt mir wie ein Stein auf der Seele. Das beschreibt das Gefühl, das wir empfinden, wenn solch etwas uns be-last-et.

Ich spüre Druck auf der Brust.

Ich kann nicht mehr richtig durchatmen,

Ich bin angespannt und verkrampft durch die Last.

Ich fühle mich niedergedrückt, es zieht sich alles in mir zusammen

Ist mir dann die Last von der Seele genommen, der Stein zu Boden geplumpst, dann sprechen wir auch von Ent-Last-ung oder Er-leicht-erung.

Ich kann aufatmen, durchatmen. Baue Spannkraft auf, kann den Kopf wieder heben und nach vorne sehen.

-

Da ist mir ein Stein von der Seele gefallen

Ich denke, dieses Sprichwort ist gut geeignet, uns durch die Passionszeit zu begleiten.

Wir Christinnen und Christen sagen: Jesus trägt die Sünde der Welt, er hat sie am Kreuz auf sich genommen. Er nimmt uns die Last ab, damit wir wieder durchatmen, uns aufrichten können.

Jesus trägt die Sünde der Welt.

Gemeint sind damit nicht nur die kleinen oder großen moralischen Vergehen. Die auch. Aber es geht um mehr.

Was die Bibel Sünde nennt, entspringt der Trennung zwischen Gott uns Mensch. In der Sündenfallgeschichte symbolhaft dargestellt: der Mensch will selber wie Gott sein, trennt sich von seinem Ursprung, will über böse und gut selbst entscheiden.

Die Sündenfallgeschichte ist kein historischer Bericht. Eher eine Bildergeschichte, die erklären möchte, warum die Welt so ist, wie sie ist.

Und die Welt ist nicht perfekt. Und wir auch nicht. Wir spüren das.

Wir haben Ahnungen, Hoffnungen, Vorstellungen einer vollkommenen Welt - und sehen zugleich den Unterschied. An uns und anderen. 

Wir sehen Egoismus. Raffgier. Übervorteilung. Hass, Neid, Missgunst. Im Kleinen. Bei uns und anderen.

Und im Großen fügt sich das zu Verkettungen und Verwicklungen zusammen. Die Entscheidungen von Politikern oder Managern - durchaus auch mal aus Raffgier, Neid, Angst - wirken sich aus, stürzen immer wieder Menschen in Angst, Not und Leid. Gewollt, vielfach aber auch ungewollt. Unsere Welt ist sehr kompliziert. Vieles hängt miteinander zusammen. Wirkt aufeinander ein. 

Ich will das heute gar nicht im einzelnen auflisten und erklären oder erläutern. Darum geht es nicht. Sondern um die Risse, die unsere Welt, unser Leben und uns selbst durchziehen.

Die Bibel nennt dies alles zusammen Sünde. Getrenntsein von Gott.

Und Jesus sagt: ich habe die Sünde der Welt auf mich genommen und sie am Kreuz getragen. Ich will euch die Last abnehmen. Die Trennung zwischen Gott und Mensch.

Seither können wir mit dem, was uns belastet, zu ihm kommen, zum Kreuz und ihm dies hinlegen.

Symbolisch wollen wir das heute hier vorne in der Kirche sichtbar werden lassen. 

Ich habe ein Kreuz auf den Boden gelegt. Und Steine daneben. Und ich möchte Sie einladen, zu überlegen, was Ihnen auf der Seele liegt, was belastet, wie ein Stein auf der Brust.

Angst. Trauer. Erschrecken. Krankheit, Versagen. Sorgen. Das können kleine Dinge sein, die nicht ganz so heftig drücken, aber auch Sachen, die ihnen die Luft zum atmen abschnüren.

Nehmen Sie einen Stein und legen ihn in das Kreuz. Und denken dabei an das, was ihnen auf der Seele liegt, Sie belastet.

Vielleicht empfinden Sie dabei ein Gefühl der Entlastung. Das wäre schön, weil dann etwas für Sie spürbar wird von dem Satz, dass Jesus unsere Lasten ans Kreuz mit nimmt. 

Vielleicht spüren Sie aber auch nichts. Aber auch dann können Sie darauf vertrauen, dass Ihre Last von Jesus mit getragen wird, weil er das zugesagt hat.

Denn wir bleiben doch in unserer Welt leben. Dadurch, dass Jesus die Sünde der Welt trägt, wird die Welt leider nicht urplötzlich heil und anders. Im Kleinen (und manchmal auch im Großen) hie und da schon. 

Das ist gut und darüber können wir uns freuen und dankbar sein.

Da, wo wir die Last aber weiter ertragen müssen - in Krankheit, in Trauer, ins sozialer Not -, da können wir aber heute nach Hause gehen und sagen: ich habe meine Last ans Kreuz gelegt. Ich habe sie Jesus ans Herz gelegt. Er trägt sie mit, auch wenn ich sie weiter tragen muss. Vielleicht ein tröstlicher, hilfreicher und dann doch ein wenig entlastender Gedanke: ich trage nicht allein.

Liebe Gemeinde,

es tut uns oft gut, nicht nur zu hören und zu reden, sondern auch etwas zu tun, zu spüren, zu sehen. 

Wenn wir heute anfangen, Steine in dieses Kreuz zu legen, dann tun wir etwas. Wir bleiben nicht sitzen, sondern kommen in Bewegung, auf das Kreuz zu. 

Und wir spüren etwas. Die Härte des Steines. Lasten sind hart und wiegen schwer. 

Und wir sehen etwas: dass auch mein Nebenmann, meine Nebenfrau etwas auf der Seele trägt. Ich bin es nicht allein. Und wir legen gemeinsam unsere Last Jesus ans Herz, an sein Kreuz.

Und im Lauf der nächsten Wochen, bis Ostern, werden wir sehen, wie sich das Kreuz mit unseren Steinen nach und nach füllt. Und es wird dabei immer weißer werden. Weiß, die Farbe des Neuanfangs, der Unschuld der Reinheit.

Amen.

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